Schwebende Kristalle

Installation von Ronan und Erwan Bouroullec in Paris

Seit mittlerweile knapp einem Jahr schmücken sechs neue Brunnen den Pariser Prachtboulevard Champs-Élysées. Doch an den Installationen von Ronan und Erwan Bouroullec scheiden sich weiterhin die Geister. Dabei könnten sie eines Tages zum neuen Wahrzeichen der französischen Hauptstadt werden.

Der Rond-Point des Champs-Elysées hatte seit Mitte des 19. Jahrhunderts schon viele Gesichter. Im Zuge der Stadtsanierung unter Baron Haussmann wurden hier sechs Bronze-Brunnen installiert, die in den Dreißigerjahren durch figurative Glassockel von René Lalique und Max Ingrand ersetzt wurden. Seit ihrer Stilllegung vor über 20 Jahren mutierte der einst so schillernde Platz jedoch zu einem trostlosen Kreisverkehr. Doch 2019 wurde der geographischen Mitte der Champs-Elysées endlich wieder ein frischer Look verpasst. Die Kulturstiftung Fonds pour Paris machte es sich zu ihrer ersten Aufgabe, die einstige Brunnenkultur erneut aufleben zu lassen. Die künstlerische Gestaltung der Anlage wurden den Designern Ronan und Erwan Bouroullec übertragen. Über einen Zeitraum von drei Jahren und mit Hilfe von 40 Unternehmen und 250 Akteuren entwickelten die Brüder sechs geometrisch geformte Brunnen, von denen das Wasser durch einen zentralen Bronzemast über seine filigranen und mit Swarovski-Kristallen besetzten Seitenarme läuft. Dabei drehen sich die schlanken Konstruktionen so langsam, dass ihre Rotation fast nicht wahrnehmbar ist.

Ein Patent für schwebende Kristalle
Eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten war dabei der Wunsch der Bouroullec-Brüder, die insgesamt 3.060 verwendeten Swarovski-Kristalle ohne sichtbare Verbindung auf den rotierenden Grundgerüsten der Brunnen zu befestigen. „Es soll aussehen, als ob die Kristalle frei im Raum schweben“, stellten es sich die Bretonen von Anfang an vor. Die technische Umsetzung dieser kreativen Vision wurde schließlich so komplex, dass die Techniker des österreichischen Herstellers dafür extra ein Patent anmelden mussten. Ronan Bouroullec betont zudem einen weiteren, bedeutenden Aspekt des Projektes: „Uns war es sehr wichtig, der historischen Tragweite der Brunnen einen besonderen Platz einzuräumen. Deshalb bestehen die zentralen Masten unserer Entwürfe aus Bronze, das schon Aldophe Alphand für die ursprünglichen Brunnen verwendete. Mit den vielen Kristallelementen entschieden wir uns für ein Material ähnlich dem Glas, das René Lalique und Max Ingrand für ihre Kreationen benutzten.“

Subtile Auffälligkeit
Trotz der imposanten Höhe von jeweils 13 Metern und ihren lautstarken Wasserfontänen sind die sechs Fontaines des Champs-Elysées in ihrer Struktur jedoch so filigran, dass man sie im tagtäglichen Trubel und Verkehrschaos glatt übersehen könnte. Bei Dunkelheit dagegen setzen 44.000 LEDs ihre klare, lineare Silhouette wunderbar in Szene. „Ich finde es spannend, wie die Bouroullecs gleichzeitig etwas Zartes und Großes, Stilles und Kraftvolles geschaffen haben“, sagt Kunst- und Designmäzenin Nadja Swarovski. „Die Brunnen sollen sich aus ihrer urbanen Umgebung nicht auffällig abheben, sondern sich wie ein Chamäleon in sie einfügen“, sagt wiederum Ronan in gewohnter Bouroullec-Manier. „Die Brunnen sind genauso hoch wie die sie umgebenden Bäume und auch das Material soll sich seiner Umgebung anpassen. So verändern sich die Kristallelemente mit wechselndem Tageslicht und im Laufe der Jahreszeiten, und bei künstlicher Beleuchtung tauchen sie die Brunnen in ein weiches Licht.“

Ein Geschenk, das (nicht) gefällt
Insgesamt 6,3 Millionen Euro kostete die neue Brunnenlandschaft, die ausschließlich aus Stiftungseinnahmen finanziert wurde. „Ohne einen einzigen Cent aus Steuergeldern“, betont Anne-Sylvie Schneider, die Leiterin von Fonds pour Paris, immer wieder. Dennoch standen die sechs Brunnen schon vor ihrer offiziellen Einweihung heftig in der Kritik. Sie seien hässlich, unspektakulär und natürlich viel zu teuer, lauteten die ersten Reaktionen in den französischen Medien und sozialen Netzwerken. Wie Duschen würden sie aussehen, ereiferte sich sogar ein Geschäftsmann in einer Fernsehreportage, und auch die Assoziation mit einer öffentlichen Waschanlage ist immer wieder zu lesen. Kurz: Die Chancen, dass die Fontaines des Champs-Elysées zum neuen Wahrzeichen der französischen Hauptstadt werden, stehen sehr gut. Ernteten doch lange Zeit auch so berühmte Bauwerke wie der Eiffelturm, das Centre Pompidou und die gläserne Louvre-Pyramide nur den übelsten Spott vieler Pariser. Allerdings muss der Entwurf von Ronan und Erwan Bouroullec langfristig auch der Zerstörungswut standhalten, die leider immer wieder auf den Champs-Elysées zurückkehrt. Ihr fielen 1998 auch die ursprünglichen Brunneninstallationen zum Opfer, als der erste Fußball-Weltmeistertitel der Franzosen auf dem ehemaligen Prachtboulevard von Paris zu ausgiebig gefeiert wurde.

Auor: Jana Herrmann